Skaidi – Repvåg

Ein windiger, anstrengender, aber schöner Tag

Nach der gestrigen Etappe war ich am Abend recht müde und schlief heute auch länger als üblich. Trotzdem startete ich in Skaidi schon kurz nach 8:00 Uhr. Gleich die ersten 7 km ging es bergauf auf ca. 240 m. Ich war wieder auf der Hochebene. Jeder Anstieg ist anstrengend und wärmend, so trug ich heute Morgen auch nur meine T-Shirt-Kombi (= Merino-Langarm + Merino-Kurzarm + Warnweste), aber bei der Abfahrt wurde es kalt, erst zog ich die Fleecejacke und dann die Windregenjacke an. Später holte ich sogar die Handschuhe raus, das war das erste Mal auf dieser Tour. Es war kühl und stark bewölkt, aber die Wolken hängen nicht so tief, so konnte ich die Landschaft sehen. Auch auf der Hochebene sah ich wieder Rentiere. Nach ca. 23 km erreichte ich Olderfjord und verließ die E6. Die E6 geht noch etwa 500 km weiter bis Kirkenes.

Im kleinen Supermarkt musste ich nun fürs Wochenende einkaufen. Der Supermarkt ist klein und ist gleichzeitig Imbiss, Tankstelle, Café und Wollgeschäft. Das ist der Supermarkt, in dem mir im März schon ein riesiges Wollregal aufgefallen war. Wahrscheinlich ein Drittel des Ladens ist Wollregal. Das ist auch der Laden, in dem ich mich im März beim Tanken blamiert habe. In Norwegen gibt es Tankautomaten. Normal stellt man alles beim Automat ein, nimmt dann den Tankrüssel und tankt. Was hatten wir gemacht? Wir hatten erst den Tankrüssel genommen, dann versuchten wir den Tankautomaten zu bedienen und es klappte nicht. Ich ging in den Laden und fragte die Verkäuferin. Sie kam dann mit an den Tankautomaten und schnell war klar, was wir falsch gemacht hatten. Das war ein wenig peinlich. Heute betrete ich den Laden. Wen sehe ich zuerst? Genau. Diese Verkäuferin. Gut, dass hier tausende Touristen vorbeikommen und sie sich nicht an mich erinnern kann. Ich trank dort noch einen Kaffee, aß Waffeln und wärmte mich auf. Erst im Laden hatte ich gemerkt, wie kalt mir von der Abfahrt von der Hochebene nach Olderfjord geworden war.

Dann fuhr ich weiter. Keine 500 m weiter traf ich ein holländisches Paar, mit dem ich mich gestern schon unterhalten hatte, an deren Übernachtungsplatz ich heute Morgen vorbeigekommen war und die mich zwischenzeitlich auch überholt hatten. Sie machen abwechselnd Rad- und Auto-Urlaub. Aktuell machen Sie Auto-Urlaub, waren aber sehr an meiner Radreise interessiert. Eine Freundin von ihr ist auch gerade auf dem Weg zum Nordkap und zwar zum zweiten Mal. Wir trafen uns in Russenes. Dort stoppen auch alle Reisebusse und der Parkplatz war voll. Es gibt einen Souvenirladen, und sie erzählten, dass er voll von Italienern, Chinesen, Deutschen wäre. Als wir uns verabschiedeten, bog gerade ein Bus von Studiosus auf den Parkplatz ein.

Nun fuhr ich am Meer entlang Richtung Norden. Es war weiter recht bewölkt und recht windig, aber es regnet nicht und es war zwar kühl, aber nicht eisig. Immer wieder traf ich auf Rentiergruppen.

Einmal fiel mir auf, dass auf einer größeren Fläche sehr viele Weibchen mit ihrem Kälbern grasten. Die weiblichen Rentiere haben auch ein Geweih, dies ist aber wesentlich kleiner als das Geweih der männlichen Rentiere.

Kurz danach war ein Geschäft einer Silberschmiede. Ich hielt an. Einige Schilder waren auf Deutsch und es stellte sich heraus, dass der Besitzer ein Deutscher ist, der vor 60 Jahren nach Norwegen ausgewandert ist und zusammen mit seiner Frau und mittlerweile auch mit seiner Tochter eine Silberschmiede betreibt. Er sah mich an und bot mir als erstes einen Kaffee an, den ich dankend annahm. Ich wärmte mich in seinem Verkaufsraum auf und nutzte die Gelegenheit, ein paar Fragen zu stellen.

Weibliche Rentiere und ihre Kälber leben üblicherweise auf den Hochebenen. Sie kommen aber genau einmal im Jahr an die Küste, um Seetang zu essen. Seetang enthält sehr viele Mineralien, die für die Tiere wichtig sind. Die männlichen Rentiere verziehen sich dann, da die weiblichen Rentiere in der Zeit ihrer Mutterschaft etwas aggressiv sind.

Die männlichen Rentiere haben riesige Geweihe, das hab ich ja gestern schon erwähnt. Eines der Geweihteile steht fast senkrecht auf der Nase und sieht aus wie eine Schaufel. Männliche Rentiere werfen ihr Geweih im Herbst ab. Anscheinend ist das auch eine bewusste Entscheidung der Natur, damit fressen die männlichen Rentiere den weiblichen Rentieren im Winter nicht das Gras weg. Sie kommen nämlich nicht mehr so einfach an das Gras, aber die weiblichen Rentiere haben noch ihr Geweih und erreichen das Gras. Die weiblichen Rentiere werfen ihr Geweih erst im Frühjahr ab. Das Geweih selbst wächst wohl innerhalb von zwei Wochen auf diese stattliche Größe.

Der Silberschmidt berichtete auch von einem Sturm vor ca. vier Wochen, der Orkanstärke hatte. Es sind wohl Wohnmobile umgefallen und Motorradfahrer wurden von der Straße geweht. Es stand wohl auch bei uns in der Zeitung.

Kurz nach der Silberschmiede begann ein 3,6 km langer Tunnel. In diesem Tunnel gab es einen separaten Radweg, was ich super fand. Auch sonst war der Tunnel recht angenehm zum Fahren. Die Autos waren gar nicht so laut wie sonst.

Bei der Abfahrt vom Tunnel traf ich den Schweizer wieder, mit dem ich einige Kilometer kurz vor Alta zusammengefahren bin. Er war mittlerweile am Nordkap und ist nun auf der Fahrt über Finnland und Schweden zurück nach Hause. Kurz sprachen wir miteinander und stellten fest, dass es heute doch wirklich kühl ist und wir erstmals die warmen Sachen herausgeholt haben.

Mein Weg ging weiter Richtung Norden. Der Wind wehte von vorn und ab und an kam ich wegen der Straßenführung an eine geschützte Stelle und es war windstill, was ich dann sehr genossen. Die Landschaft ist grandios. Ich hatte rechts immer das Meer, in dem ich Kormorane, Austernfischer und Säger (Entenvögel) sah. Links waren die Berge, die wie aufgeschichtet Eierkuchen aussehen. Ab und an kam ein kleiner Tunnel. Die Straße ging immer wieder leicht bergan und leicht bergab.

Mir kamen weitere Radfahrer entgegen und als würden wir uns kennen, grüßten wir uns. Es ist wie eine große Radfahrer-Gemeinschaft. Nach jeder diese Begegnung fühle ich mich gut.

Irgendwann sah ich Häuser und da ich wusste, dass es hier nur einen Ort gibt und zwar Repvåg, war klar, das ist mein Ziel. Aber das Ziel war noch weit bei diesem Gegenwind. Aber irgendwann hatte ich es geschafft und kam in Repvåg an. Ich habe hier eine kleine Hütte, mit der ich total glücklich bin. Repvåg liegt auf einer kleinen Halbinsel. Ich habe zwei Fenster. Das eine Fenster geht nach Süden und ich sehe die Straße, die ich heute gefahren bin. Das andere Fenster geht nach Norden und ich sehe Repvåg und die Straße, die ich morgen fahren werde.

Zuerst aß ich etwas, erholte mich kurz und da Regen für später vorhergesagt war, ging ich vorher noch eine kleine Runde. Nun regnet es wirklich etwas, aber ich sitze hier im Warmen in meiner gemütlichen Hütte.

Ja und dann bin ich dem Ziel der Tour relativ nah. Es sind weniger als 100 km bis zum Nordkap. Unglaublich!

Karte

Rentier bei Smørfjord
Rentier bei Smørfjord
Der kleine Hafen von Smørfjord
Bei Ytre Nordmannset
Rentiere beim Ausruhen
Weibliches Rentier mit Kalb am Meer
Die wie aufgeschichtete Eierkuchen aussehenden Felsen
Ein „Eierkuchen“-Felsen aus der Nähe
Wollgras im Wind
Repvåg und in etwa der Blick aus meinem Nordfenster