Lange Zeit konnte ich nicht in Worte fassen, was wir auf dieser Reise erlebt haben, und eigentlich kann ich es jetzt auch noch nicht. Es war so unglaublich.
Wir, das sind 100 Passagiere und 50 Besatzungsmitglieder aus 28 Ländern, die mit der „Ortelius“, ein Schiff von Oceanwide Expedition, von Bluff in Neuseeland in die Antarktis und dann nach Ushuaia in Argentinien gefahren sind. Was die meisten der Passagiere und der Besatzungsmitglieder eint, ist, dass sie infiziert sind, nicht mit dem Covid-19-Virus, sondern mit dem Eis- bzw. Antarktisvirus.
Covid-19-Virus war bei unsere Abreise Anfang Februar schon da, aber das Ausmaß, welches die Pandemie annehmen sollte und welche Auswirkungen es auf uns haben sollte, war noch nicht klar.
Eine Woche vor Einschiffung reisten wir nach Neuseeland. Klar war, das Schiff durften wir nicht verpassen. Wir hatten uns zwei Jahre auf die Reise gefreut, und das Schiff zu verpassen, wäre eine Katastrophe gewesen. Wir verbrachten einen schönen Tag in den Catlins und einige wunderbare Tage auf Stewart Island, der drittgrößten Inseln von Neuseeland. Wir sahen u.a. drei Kiwis, zwei bei Nacht und einen auf Ulva Island am Tag.
Über dreißig Tage sollte die Schiffsreise dauern. Die subantarktischen Inseln: Enderby, Auckland und Campbell hatte ich eigentlich nur als notgedrungenen Stopp in Richtung Antarktis angesehen, dass sie so reich an Flora und Fauna sind, wurde mir erst auf den Inseln bewusst. All diese Inseln lohnen eine eigene Reise. Unser Schiff war immer in Begleitung von Albatrossen und diversen Sturmvögeln. Außerdem wurden wir gleich ab Bluff mit gutem Seegang auf die lange Fahrt eingestimmt.
Die ersten antarktischen Inseln waren Balleny Islands. Nach kurzem Stopp dort ging es weiter zum Cape Adare. Eine Anlandung war uns nicht vergönnt, aber wir sahen und rochen die große Kolonie der Adeliepinguine. Auch sahen wir das erste Haus, welches je in der Antarktis gebaut wurde und in dem die erste Überwinterung in der Antarktis stattfand. Die Traurigkeit, dass wir nicht anlanden könnten, hielt nicht lange. Wir flogen am gleichen Tag noch mit dem Hubschrauber von Protection Cove die Gletscher hoch und runter. Mein erster Hubschrauberflug! Unglaublich schön!
Dann fuhren wir ins Rossmeer, stoppten an der Terra Nova Bay. Wechselhaftes Wetter begleitete uns. Wir sahen Wale, Robben und die ersten Eisberge. Auf einer Schlauchbootfahrt entlang der Küste sahen wir einen riesigen Seeleoparden direkt neben dem Schlauchboot.
Die Ankunft im McMurdo Sound war ungemütlich. Die Temperaturen sanken und sanken. -25 Grad und starker Wind fühlten sich wie -35 Grad an. Am ersten Tag fuhren wir an der Ostküste entlang und passierten Mount Erebus, Cape Royds, Cape Evans, die US-Forschungsstation McMurdo und die neuseeländische Forschungsstation Scott Base. Eine Anlandung war nicht möglich. Am zweiten Tag tat sich ein Schönwetterfenster an der Westküste auf. So nahm die „Ortelius“ Kurs nach Westen und wir erlebten einen traumhaften Tag im und vor den Trockentälern. Mit dem Hubschrauber flogen wir in eines der Trockentäler, dem Taylor Valley. Normal sind die Trockentäler grün, bei uns waren sie weiß. Also auf den ersten Blick sahen sie gar nicht so spektakulär aus, waren sie aber trotzdem. In der Zeit vor und nach dem Flug genossen wir die Landschaft und stellten fest, dass Kaiserpinguine neugierig sind. Sie stellten sich auf die Eisschollen rund ums Schiff und wir freuten uns. Den nächsten Tag verbrachten wir noch einmal im Westen des McMurdo Sounds mit den Kaiserpinguinen. Am 4. Tag konnten wir bei Cape Evans anlanden und die Hütte besichtigen, in der Robert F. Scott und seine Terra Nova Expedition wohnte und überwinterte, bevor er zum Südpol ging, von dem er nicht lebend zurückkam.
Dann startete unsere lange Reise nach Ushuaia. Kurz zuvor hatten wir noch unseren südlichsten Punkt erreicht: 73 Grad. Mehrere Tage verbrachten wir auf See, erst fuhren wir durch die Ross See, dann durch die Amundsensee und die Bellingshausen See. Die Eiskarten zeigten grün (= kein Eis), die Wirklichkeit war rot. Wir steckten nicht im Eis fest, wir kamen aber auch nicht voran: 2 bis 4 Knoten statt 10 bis 12 Knoten. Der schnellste Weg durchs Eis ist um das Eis herum. Der Kapitän suchte den Weg um das Eis. Ergebnis war, dass wir nach 2 Tagen 20 Seemeilen weiter von unserem Ziel (= Peter I. Island) entfernt waren. Aber die Tage waren trotzdem spannend. Rund ums Schiff sahen wir alle möglichen Eisformationen: Eisschlamm, Pfannkucheneis, Packeis, Eisberge etc..
Peter I. Island sahen wir durch die dicken Wolken kaum. Die Fahrt entlang der Antarktischen Halbinseln fiel aus, da wir zu viel Zeit im Eis verloren hatten. So fuhren wir, wie selten ein Schiff, mal quer von Westen in die Drake Passage, die so war, wie sie typischerweise sein sollte: rau und stürmisch. Teilweise waren die Decks gesperrt, da die Schiffsbewegungen zu gefährlich waren. Wir standen dann freudig auf der Brücke und warteten auf die nächste Welle, die die Brücke treffen würde. Natürlich standen nicht alle Passagiere auf der Brücke, einige kämpften mit der Seekrankheit. Umso näher wir Südamerika kamen, umso mehr Seevögel gab es wieder. Albatrosse und Sturmvögel begleiteten uns.
Am 18.3. erreichten wir Ushuaia. Eigentlich wäre unsere Reise dort zu Ende gewesen, aber der Covid-19-Virus machte uns einen Strich durch die Rechnung. Wir durften das Schiff nicht verlassen. Wir konnten Lebensmittel und Treibstoff aufnehmen und verließen Ushuaia mit der Ungewissheit, wie wir nach Hause kommen würden: per Schiff oder doch noch per Flugzeug. Uns selbst ging es gut. Wir waren gesund, wir hatten genug zum Essen und zum Trinken, wir waren in guter Gesellschaft und hatten das Meer für uns. Auf der Fahrt entlang der argentinischen Küste begleiteten uns Seevögel, Wale und Delfine. Es wurde von Tag zu Tag wärmer. Eines Nachts passierten wir die City of Lights, ein Ort, an dem Hunderte Schiffe fischen und der in der Nacht so hell wie eine Stadt leuchtet. Am Tag sieht man die runtergekommenen, meist chinesischen Schiffe. Von Sklaverei, Ausbeutung, schlechten Lebensbedingungen für die Fischer ist die Rede. Sie fischen östlich von Argentinien bzw. im Nordwesten der Falklandinseln an der Kante zur Tiefsee, die sehr fischreich ist.
Die Informationen zu unserer Heimreise änderten sich stündlich. Hier nur die kurze Version: über Montevideo konnten wir via Sao Paulo nach Deutschland reisen und trafen nach 7 Wochen mit einer Woche Verspätung wieder in Deutschland ein, welches aufgrund des Covid-19-Virus ganz anders war als vor unserer Abreise. Die Besatzungsmitglieder der „Ortelius“ fuhren vier Wochen mit dem Schiff zum Heimathafen nach Vlissingen in Holland.
An dieser Stelle vielen Dank an Oceanwide Expedition, an die Besatzungsmitglieder, an das Hotelpersonal und and die Guides für diese grandiose Reise.
Mein Dank geht auch an „Diamir“, über die wir die Reise gebucht hatten und die uns mit großem Einsatz die Heimreise ermöglichten. Der Einsatz von „Diamir“ war in dem Ausmaß nicht selbstverständlich.
Video Hubschrauberflug Protection Cove von Gerd Hüdepohl
Video Hubschrauberflug Protection Cove von Sean Traynor
Video Hubschrauberflug Taylor Valley von Sean Traynor